5. Juli 2024

Philosophische Bildung und Zukunftsfähigkeit

An der Salzburger Tagung «Herausforderungen der Zukunft» vom 1. und 2. Juli 2024 hatte auch die PH Luzern einen prägenden Auftritt. Ein Schlüsselthema war, wie Zukunftsgestaltung durch internationale Zusammenarbeit möglich wird.

Viele aktuelle Probleme sind nach den politischen Hochrechnungen oder Berechnungen exponentieller Steigerung vor allem sich zuspitzende Herausforderungen der Zukunft. Diese sollten nicht nur demokratisch, sondern mittels philosophischer Bildung wirksam analysiert und beurteilt werden. Ausgehend von ihrem gemeinsamen Buch «Wirksamer Philosophie- und Ethikunterricht» (2023) organisierten Bettina Bussmann (Salzburg), Dominik Helbling (Luzern) und Philipp Thomas (Weingarten) eine Konferenz, die noch internationaler war als die Kooperation der drei Fachdidaktiker*innen, die Deutschland, Österreich und die Schweiz verbindet. Vortragende auf der Konferenz stammten u.a. aus Schweden, Belgien und den Niederlanden, so dass auch darin zum Ausdruck kam, dass Zukunftsgestaltung nur durch internationale Zusammenarbeit möglich ist.

Darüber hinaus ist es ein seltener Glücksfall, dass eine Konferenz so viele Einblicke in die Lehre und Forschung von Kolleg*innen aus anderen Ländern erlaubt; ein Umstand, der Reflexionen zu komplexen Thematiken wie Digitalisierung, Diversität/Pluralismus, Interkulturalität und Demokratiebildung um viele wertvolle Begegnungen bereicherte. Die Universität und Stadt Salzburg samt Alpenpanorama waren dafür eine wunderbare Kulisse; für eine offene Zukunft braucht es einen freien Horizont, was insbesondere am letzten kommunikativen Abend beim Dinner auf dem Mönchsberg nicht allein denkbar, sondern zugleich sichtbar wurde.

Komplexe Rolle der Philosophiedidaktik

Bussmanns Forschungsprojekte werden aktuell unterstützt durch das österreichische Exzellenz-Cluster «Knowledge in Crisis», ein riskanter Topos, der auch ihre Eröffnung der Konferenz motivierte, in der sie im Horizont der Gleichzeitigkeit aus quantitativer Wissenszunahme und scheinbarer Abnahme der Qualität bzw. Evidenz dieses Wissens die hohe Relevanz der Wertebildung und kritischen Denkens betonte. Die Bemühungen könnten nur interdisziplinär informiert und empirisch gestützt erfolgreich sein. Damit zeige sich einmal mehr die komplexe Rolle der Philosophiedidaktik als empirisch-informierte Mehrfachdisziplin. Eine Rolle, die nicht zuletzt von jenen Vortragenden eingenommen wurde, die entweder selbst zentrale philosophiedidaktische Thesen empirisch überprüften oder mit Bezug auf Erkenntnisse aus der Psychologie sowie der Lehr- und Lernforschung untermauerten. 

Schule sei zudem als sozialer Ort zu begreifen, an dem Diskurse möglich werden, die der Diffusion von Fakt und Fiktion in vielen Teilen der Gesellschaft fachdidaktisch gestützt etwas entgegenstellten. Das ist ein hoher Anspruch, den Helbling – auch als Vertreter der PH Luzern – und Thomas mit den durch die 19 Interviews mit philosophiedidaktisch Lehrenden erarbeiteten Resultaten des gemeinsamen Buches genauer einordneten und kontextualisierten. Dabei kam u.a. die These auf, dass gegen vermeintliche Orientierungslosigkeit in unserer Gegenwart u.a. auch die Erkenntnisse der Moralpsychologie berücksichtigt, werden sollten, um sich etwa einem für die Fächergruppe Ethik/Philosophie sehr relevanten Phänomen wie dem attitude-behavior-gap gezielt kritisch widmen zu können.

Eindringlicher Appell

Die Suche nach Orientierung, die sich mit Blick auf die Unterrichtspraxis als drängendes Bedürfnis beschreiben lässt, wurde in den Vorträgen aufgegriffen und weiter ausdifferenziert. Philosophie- und Ethikunterricht muss, so die These einzelner Vortragender, grundlegende Fähigkeiten und domänenspezifisches Wissen vermitteln, um Lernende in die Lage zu versetzen, insbesondere mit wissenschaftlicher Expertise angemessen umzugehen. Eine Herausforderung und Chance, die beispielsweise daran erinnert, die Möglichkeiten und Limitationen philosophischen Wissenstransfers zu prüfen. Zudem wurde die bedeutende Rolle philosophischer Kerndisziplinen betont, die theoretisches Rückgrat für die Ausbuchstabierung analytischer, epistemischer und argumentativer Kompetenzen sind. 

In weiteren Vorträgen spielten die beliefs der Schüler*innen und Lehrkräfte eine Rolle, etwa zu digitaler Technik, zu Relativismus oder hate speech, zu Aspekten von diversity oder auch zum Grad der Praxisrelevanz ethischen Philosophierens. Interessante Einblicke in internationale Forschungsprojekte machten unter anderem aus dem Blickwinkel von civic education oder moral education bemerkbar, welch unterschiedlichen Gegebenheiten und Anforderungen Philosophieren in schulischen und außerschulischen Kontexten ausgesetzt ist.

Diese Tagung formuliert einen eindringlichen Appell, philosophische Reflexionsprozesse als integralen und unverzichtbaren Bestandteil zeitgemäßer Bildung zu begreifen. Nur so kann den Auswirkungen und Herausforderungen gesellschaftlicher Transformationsprozesse handlungs-, entscheidungs- und urteilsfähig begegnet werden.

Der Beitrag erscheint in der Zeitschrift für die Didaktik der Philosophie und Ethik 4/2024 

Anna Breitwieser, M.Ed. ist Doktorandin für Philosophiedidaktik im FWF Cluster of Excellence «Knowledge in Crisis» an der Paris Lodron Universität Salzburg. Schwerpunkte ihrer Forschung sind Wissenschaftsintegration und -reflexion.

Dr. Florian Wobser arbeitet aktuell an der Universität Passau und forscht zu fachdidaktischen Aspekten im Kontext des Anthropozäns.


Kontakt

Fachleiter Ethik und Religionen
Dominik Helbling
Prof. Dr. theol.
Sentimatt 1
6003 Luzern
dominik.helbling@phlu.ch
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