22. Oktober 2024

Wahkohtowin – Indigene berichten von Kanada in Zeiten des Klimawandels

Jackie Hookimaw-Witt begrüsste am Abendanlass vom 27. September 2024, der vom Institut für Fachdidaktik der Gesellschaftswissenschaften der PH Luzern in Zusammenarbeit mit dem Historischen Seminar der Universität Luzern durchgeführt wurde, rund 70 Gäste im Hörsaal 9 des Uni/PH-Gebäudes. 

«Wahkohtowin» bedeutet in der von Jackie Hookimaw bei der Begrüssung benutzten Sprache der Cree, einem in Nordamerika lebenden indigenen Volk, ein «respektvolles Verhältnis» mit dem Land. In dieser Weltanschauung sind Menschen, Tiere, Pflanzen und Steine, die sich das Land teilen, miteinander verbunden. Es gilt, dieser Verbindung Sorge zu tragen.

Der Klimawandel bedroht auch das traditionelle Land der Cree an der Hudson Bay und James Bay im Norden Ontarios. Daher lancierten sie das «Marine Conservation Project». Jackie Hookimaw-Witt, eine Cree der Attawapiskat First Nation, stellte gemeinsam mit ihrem aus Deutschland stammenden Ehemann Norbert Witt dieses Naturschutzprojekt vor. Zudem sprach sie sie über die Philosophie der Cree und die Bedeutung indigener Bildung.

Jackie Hookimaw-Witt ist eine bekannte Cree-Pädagogin und Aktivistin aus dem Norden Ontarios. Sie setzt sich für den Erhalt der indigenen Kultur und Spiritualität ein.

Erste Person mit Doktortitel in ihrer Gemeinschaft

In ihrem Vortrag in Luzern fokussierte Jackie Hookimaw auf die Rolle indigener Bildung, die auf gelebter Erfahrung beruht. Gerade im Umgang mit aktuellen Herausforderungen wie dem Klimawandel und sozialen Ungleichheiten sind indigene Bildungsansätze von Bedeutung: «Kultur ist nicht nur Jagen und Sammeln. Sie ist die Art und Weise, wie man lebt, sie ist egalitär in Bezug auf die Stellung der Geschlechter, sie ist die Art und Weise, wie man mit seinem Land und der Natur umgeht.»

Jackie Hookimaw realisierte verschiedenste Projekte an der Schnittstelle zwischen Bildung und Nachhaltigkeit. So lancierte sie beispielsweise 2021 ein Pilotprojekt zur Ernährungssouveränität ihrer Gemeinschaft. Dabei konnte sie auf ihre Ausbildung zur Chefköchin und ihrer Erfahrung im Gartenbau zurückgreifen. «Ich bin stolz auf mein Frausein und weiss um die Verantwortung, die dieser Status mit sich bringt. Dies ist die treibende Kraft für meinen politischen Aktivismus». In ihrer Gemeinschaft ist sie die erste Person, die über einen Doktortitel verfügt und auch das universitäre Bildungssystem kennt.

Residential Schools – indigene Bildung

Mit berührenden Schilderungen und anhand von Archivmaterialien führte Jackie Hookimaw durch die Schullaufbahn verschiedener Familienmitglieder, die so ganz anders verlaufen ist, als wir es kennen. Viele ihrer Verwandten haben ihre Kindheit in sogenannten Residential Schools verbracht. Einige von ihnen kehrten nicht mehr zurück. Ein erzwungenes Verschwinden sei es gewesen, so nennt es Jackie Hookimaw in ihrem Vortrag. Im Kolonialsystem prallten zwei Bildungssysteme auf krasse Weise zusammen.

«Besonders unter die Haut gegangen ist der ironische Umstand, dass die im Einklang mit der Natur lebenden Indigenen von den westlichen Kolonialherren als ungebildet gebrandmarkt wurden. Dabei war Bildung bei den Native People sehr wohl vorhanden, wenn auch mit anderem Schwerpunkt», reflektiert Caroline Hauschild, eine Besucherin nach dem Anlass.

Lange Zeit verbot der Kanadische Staat indigenen Gemeinschaften ihre eigene Kultur zu leben. Seien regelrecht umerzogen worden, schämten sich für ihre Herkunft fasst es Jackie Hookimaw zusammen. Deshalb setze sie sich für die Verbreitung und Stärkung indigener Bildung und Spiritualität ein.

Einblick in seine Tätigkeit gab auch Jackie Hookimaws Ehemann Norbert Witt. Er ist gebürtiger Bayer und war Abteilungsleiter für «Indian Education at the First Nations University» in Regina, Saskatchewan. Er arbeitete unter anderem mit dem Bildungsministerium von Saskatchewan und verschiedenen Elders zusammen, um indigene Lehrpläne für Schulen zu erstellen. Elders sind hochgeachtete und lebenserfahrene Mitglieder indigener Gemeinschaften.

 «Du musst deine Wurzeln kennen.»

Der Klimawandel gefährdet auch das angestammte Land der Cree in der Region um die Hudson Bay und die James Bay im Norden Ontarios. Daher präsentierten die beiden an diesem Abend das indigen geführte «Marine Conservation Project». Die Gewässer repräsentieren den Reichtum des Lebens, gewährleisten die Nahrungsmittelsicherheit und die Vernetzung der indigenen Gemeinschaft mit den Meeres- und Landökosystemen. Das Projekt kämpft für die Unterschutzstellung des traditionellen Landes, das durch Bergbauansprüche und durch den Klimawandel bedroht wird. Jackie Hookimaw vermittelt das Wissen zum Land auch Kindern und Jugendlichen. Es sei wichtig herauszufinden, woher man komme und keine Angst davor zu haben, nicht dazu zu gehören: «Du kannst in jede Umgebung passen, aber du musst deine Wurzeln kennen.»

Der Anlass war Teil des SNF-Forschungsprojektes «Postkoloniale Sichtbarkeit» . Er wurde in Kooperation mit dem Historischen Seminar der Universität Luzern durchgeführt und von der Kanadischen Botschaft Bern unterstützt.

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