«Verbindung mit den Partnern vor Ort ist eine grosse Stärke der PH Luzern»

Rektor Hans-Rudolf Schärer nahm den Tätigkeitsbericht 2018 zum Anlass, um mit Vertretern aus dem Berufsfeld über die bestehenden Angebote der PH Luzern und die diesbezüglichen Wünsche aus der Praxis zu diskutieren. Entwickelt hat sich ein engagiertes Gespräch um die Rolle der Lehrerinnen- und Lehrerbildung im Dreieck zwischen Bildungspraxis, Bildungspolitik und Bildungswissenschaft.

Zum Leitbild

Hans Rudolf Schärer: Ich möchte zu Beginn unseres Gesprächs das Leitbild der PH Luzern aufgreifen. Darin definieren wir uns selber als Kompetenz- und Impulszentrum für Lehrerinnen- und Lehrerbildung, Pädagogik und Didaktik. Nehmen Sie das in der Praxis auch so wahr?  

Bettina Wagner: Mir gefällt diese Vision sehr und aus meiner Sicht wird die PH Luzern in den Schulen auch so wahrgenommen. Zudem sind im Leitbild das fachliche Wissen, aber auch die Praxisnähe enthalten. Ich finde es wichtig, dass die praktische Verortung stark betont wird. Hingegen sollte es besonders im Bereich Weiterbildung eine deutliche theoretische Überhöhung geben. Sehr wichtig finde ich auch die Bereiche Kommunikation und differenzierte Selbstwahrnehmung, wobei ich bei der Elternarbeit und der Gesprächsführung bei vielen jungen Lehrpersonen noch Unsicherheiten feststelle.  

Alex Messerli: Den letzten Punkt kann ich bestätigen. Das Leitbild ist aus meiner Sicht aber umfassend und auch noch sehr aktuell – fast schon etwas zeitlos.  

Charles Vincent: In der Tat ist das Leitbild sehr fundiert. Aus bildungspolitischer Sicht begrüsse ich es, dass darin auch Leistungen z.B. aus dem Bereich Dienstleistungen Erwähnung finden, welche über das Studium hinausgehen. Davon profitieren in erster Linie die Schulen.


Zur Theorie und Praxis

Hans Rudolf Schärer: Bettina Wagner hat einen wichtigen Punkt angesprochen: Das Verhältnis von Theorie und Praxis. Hier möchte ich einen für mich wichtigen Leitspruch zitieren: «Man soll den Trank der Theorie dann geben, wenn der Durst durch die Praxis entstanden ist». Das versuchen wir mit dem frühen und intensiven Praxisbezug umzusetzen. Ich finde Ihren Anspruch an die Weiterbildung interessant, dass dort auch immer wieder wissenschaftliches Wissen vermittelt werden soll.  

Bettina Wagner: Ja genau. Ich meine damit, dass die Schulen die «Eigenleistungen» im Bereich Praxis eher erbringen können. Aber klar, auch die Praxis soll in der Weiterbildung Platz haben. So sollten in der Weiterbildung für angehende Schulleitende beispielsweise die grosse Führungsspanne und der Umgang damit in der Praxis angesprochen werden, um eine realistische Vorstellung der Führungsaufgabe zu erhalten.  

Charles Vincent: Allenfalls braucht es differenziertere Weiterbildungsgefässe: Kurze für die «Alltagsbewältigung» und längere, während denen sich Lehrpersonen vertieft mit einem Thema beschäftigen können – wie beispielsweise ein Rollenwechsel.


Zur Ausbildung

Hans-Rudolf Schärer: Ich würde gerne auf die Praxis-Ausbildung der Studierenden zu sprechen kommen, konkret auf die Frage, ob unsere Ausbildung den Ansprüchen der Praxis genügt.  

Charles Vincent: Allgemein würde ich sagen, ja. Es gibt aber Programme, wie z.B. das Mentoring-Programm mit fremdsprachigen Kindern, welche wieder fester Bestandteil der Ausbildung werden sollten. So hätten angehende Lehrpersonen noch mehr Gelegenheit festzustellen, ob dieser Beruf überhaupt etwas für sie ist – eine Art Assessment. Es ist mir aber bewusst, dass der Zeitrahmen in der Ausbildung auch so bereits sehr knapp bemessen ist.  

Hans-Rudolf Schärer: In den ersten Jahren unserer Hochschulgeschichte haben alle Studierenden über längere Zeit ein Kind individuell begleitet. Auf diese Massnahme mussten wir aus Zeitgründen leider verzichten.  

Bettina Wagner: Das bedauere ich, denn mit einer solchen Massnahme könnte man auch den Ansprüchen des Leitbildes zum Thema Chancengerechtigkeit besser Rechnung tragen. Gerade bei uns im Schulhaus Fluhmühle mit einem hohen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund haben wir ein Umfeld, wo das sehr gefragt wäre.  

Hans-Rudolf Schärer: Wie nehmen Sie den Einsatz der Studierenden während den Praktika wahr? Die Studierenden sind ja im Rückblick häufig sehr begeistert von der Möglichkeit, früh und intensiv in der Praxis zu arbeiten.  

Charles Vincent: Heute ist das für die Schulen ein sehr wichtiges Element, an dem ich auch möglichst keine Abstriche sehen möchte. Die praxisbezogene Ausbildung ist aus Sicht der Bildungspolitik sehr hoch akzeptiert. Vielleicht müssen wir darauf künftig sogar noch mehr hinweisen, da die heutige Lehrpersonen-Ausbildung in gewissen Polit-Kreisen als «verakademisiert» gilt.  

Hans-Rudolf Schärer: In Realität ist es ja so, dass der Teil der Berufsstudien mit rund einem Viertel der gesamten Ausbildungszeit heute viel höher ist als früher in den Lehrerinnen- und Lehrerseminaren – im Bereich Primarstufe sprechen wir von einer Verdoppelung der Praxissequenzen, die Studierenden absolvieren heute Praktika im Umfang von insgesamt rund 20 Wochen.  

Alex Messerli: Es ist aus meiner Sicht sehr wichtig, dass die Politik und auch die Öffentlichkeit wahrnehmen, wie praxisbezogen die Ausbildung tatsächlich ist und wie eng die PH Luzern dadurch mit den Schulen zusammenarbeitet. Dadurch findet ein bereichernder Knowhow-Transfer statt.  

Bettina Wagner: Für uns als Praxisschulen ist die Zusammenarbeit mit den Studierenden sehr bereichernd. Die angehenden Lehrpersonen bringen neue Ideen, und wir als Schule profitieren enorm vom aktuellen Wissen der Studierenden – zum Beispiel bei der Umsetzung des Lehrplans 21. Ich stelle zudem fest, dass Praxislehrpersonen durch die Begleitung auch dem Team, dem sie angehören, neue Impulse geben und nicht zuletzt können wir dank den Praktika auch immer wieder neue Mitarbeitende gewinnen.

Hans-Rudolf Schärer: Bettina Wagner, Sie haben zu Beginn gewisse Defizite in der Gesprächsführung bei PH-Abgängerinnen und -abgängern angesprochen: Wäre es Ihrer Meinung nach nötig, diesen Punkt in der Ausbildung zu intensiveren?  

Bettina Wagner: Ich denke schon. Ich stelle fest, dass zum Teil grosse Unsicherheiten herrschen. Hier müsste man allenfalls in das theoretische Fundament investieren. Positiv ist, dass die jungen Kolleginnen und Kollegen sich dieses Defizits bewusst sind und sich auch Hilfe holen.  

Hans-Rudolf Schärer: Hat denn auch der Druck von Eltern auf Lehrpersonen zugenommen?  

Bettina Wagner: Ja, hier kann die PH sicher viel an der Haltung der Lehrpersonen arbeiten, indem sie das Selbstbewusstsein stärkt, damit die Studierenden später als professionelle Fachperson auftreten und den Eltern auf Augenhöhe begegnen und diese auch als Experten ihres Kindes und als wichtigen Kooperationspartner anerkennen.  

Hans-Rudolf Schärer: Gibt es weitere Situationen, in denen sich bei Studierenden Defizite aufzeigen?  

Alex Messerli: Der Übergang von der Ausbildung in den Beruf fällt sicher nicht allen leicht. Es ist ja so, dass in den ersten sechs Berufsjahren der Wissenszuwachs am grössten ist.  

Bettina Wagner: Ich finde, die Ausbildung sollte sich vermehrt heil- und sozialpädagogischen Themen aber auch der Sprachförderung widmen, denn die Anforderungen an die Lehrpersonen werden zunehmend komplexer. Mir gefällt die Idee, dass auch die Primarlehrpersonenausbildung ein Master-Studium werden könnte, um eine vertiefter Auseinandersetzung mit eben diesen Themen zu ermöglichen.  

Charles Vincent: Integrative Förderung als fixer Teil der Ausbildung würde auch die Praxis erleichtern. Wir brauchen Lösungen, die eine hohe Flexibilität ermöglichen, und das setzt bei der Ausbildung an: Je breiter diese ist, desto einfacher ist die Planung. Breiter ausgebildetes Personal würde auch die Schulleitungen entlasten.


Zur Weiterbildung

Hans-Rudolf Schärer: Um auf den Bereich Weiterbildung zurückzukommen: Wie erleben Sie das Weiterbildungsangebot? Stimmt die Ausrichtung?  

Charles Vincent: Das grosse Angebot zeigt, wie breit das Berufsfeld ist und wie viele Optionen zur beruflichen Weiterentwicklung Lehrpersonen haben. Generell reagiert die Weiterbildung der PH Luzern gut auf die Bedürfnisse und auch die Defizite im Berufsfeld – ich denke da z.B. an den Bereich der integrativen Förderung. Aber auch hier: Je mehr die Ausbildung in diesem Bereich abdecken kann, desto besser.  

Bettina Wagner: Generell finde ich das Angebot breit und spannend. Persönlich finde ich immer Angebote, die mich ansprechen und fachlich bereichern. Von den Lehrpersonen erhalte ich zudem durchwegs positive Rückmeldungen.  

Alex Messerli: Ich finde es bei Grossprojekten, wie z.B. der Einführung des LP 21, zentral, dass diese über eine Organisation wie die PH Luzern abgewickelt werden können. Dies garantiert ein qualitativ durchgehend hohes Niveau und eine einheitliche «Doktrin». In einem zweiten Schritt geht es nun darum, den aktuellen Stand zu analysieren und auch auf individuelle Bedürfnisse von Lehrpersonen einzugehen.


Zu den Dienstleistungen

Hans-Rudolf Schärer: Und wie sieht es im Bereich Dienstleistungen mit den Tätigkeitsbereichen Dokumentation, Information und Beratung aus: Deckt das Angebot die Bedürfnisse der Schulen ab?  

Bettina Wagner: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass für Schulen, die weniger zentral liegen, die Hürden höher sind, um die Dienstleistungen der PH zu nutzen. In der Sonderschule Mariazell ist das Angebot der Theaterpädagogik ein wichtiger und sehr geschätzter Bestandteil des Angebots.  

Charles Vincent: Ich schätze die Dienstleistungsangebote der PH Luzern und finde es wichtig, dass Kinder und Jugendliche zum Beispiel mit Theaterspielen oder durch Leseförderung neue, wichtige Erfahrungen machen können. Dies leistet nicht zuletzt für die Integration einen wertvollen Beitrag. Ich bin aber auch der Meinung, dass die Angebote weiterzuentwickeln sind und den Bedürfnissen angepasst werden sollen. Beispielsweise muss man im Zeitalter der Digitalisierung überlegen, wie gross das Angebot des PMZ vor Ort tatsächlich sein muss und welche Formen der Theaterpädagogik zeitgemäss sind. Hier geht es sicherlich in die Richtung kombinierter Formen.  

Alex Messerli: Bei aller Tendenz zur Digitalisierung braucht es aber nach wie vor Räume, wo man sich persönlich begegnen kann. Ich finde es wichtig, hier einen guten Mix zu finden. Im Bereich der digitalen Lehrmittel wurde mit der Plattform entdecke.lu.ch ein Schritt in die richtige Richtung unternommen.


Zur Forschung und Entwicklung

Hans-Rudolf Schärer: entdecke.lu.ch führt mich zu unserem Leistungsbereich Forschung und Entwicklung, wozu auch die Konzeption von Lehrmitteln zählt. Nehmt ihr unsere berufsfeldbezogene Forschung und Entwicklung in der Praxis wahr?  

Bettina Wagner: Wir nehmen Projekte wie entdecke.lu.ch, die Bourbaki-App, MINT unterwegs oder auch die Entwicklungen im Bereich Basisschrift sehr wohl war, allerdings ist nicht immer bekannt, dass die PH Luzern hinter diesen Projekten steht.  

Alex Messerli: Ich erinnere mich gut an den Medienbericht über Karin Fuchs, welche ja Unterrichtsmaterialien zum Zwingli-Film erstellt hat. Zentral ist aus meiner Sicht der Austausch mit den Lehrpersonen und die Möglichkeit, Rückmeldungen bezüglich spannenden Forschungs- und Entwicklungsfeldern einfliessen zu lassen.

Charles Vincent: Es steht zwar bei den Produkten nicht immer PH drauf, aber bei den Lehrpersonen kommen die Ergebnisse aus Forschung und Entwicklung sehr wohl an. Trotzdem ist es wichtig, die diesbezüglichen Leistungen der PH besser bekannt zu machen, weil die Forschungstätigkeit in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung in der Politik teilweise skeptisch beurteilt wird. Zudem würde ich es begrüssen, schweizweit die Forschungsthemen PH-übergreifend noch mehr zu fokussieren und koordinieren.  

Hans-Rudolf Schärer: Im Bereich Fachdidaktik existieren bereits solche Kooperations- und Zusammenarbeitsmodelle zwischen den Pädagogischen Hochschulen. Meine Hoffnung ist es, dass dies auch im Bereich Forschung in Zukunft noch stärker der Fall sein wird.  

Bettina Wagner: Ein konkretes Interesse hätten wir als Schule mit hohem Migrationsanteil im Bereich Deutsch als Zweitsprache, wo es meines Wissens nicht viele Forschungsergebnisse gibt. Hier würden wir uns auch gerne für ein entsprechendes Projekt zur Verfügung stellen.


Zu konkreten Anliegen

Hans-Rudolf Schärer: Haben Sie weitere Anliegen, welche Sie an dieser Stelle deponieren möchtet? Es wäre eine nicht einmalige, aber gute Gelegenheit.  

Alex Messerli: Die praktische Ausrichtung mit wissenschaftlicher Fundierung ist aus meiner Sicht ein Schwerpunkt, der unbedingt beibehalten oder nach Möglichkeit noch gestärkt werden sollte.  

Charles Vincent: Dieser Meinung bin ich auch, aber immer im Kontext des Dreiecks Praxis, Politik, Wissenschaft. Es sollte nicht sein, dass einer der Bereiche plötzlich ein zu starkes Gewicht bekommt. Gerne möchte ich an dieser Stelle den Wunsch äussern: Bleibt agil und am Thema und behaltet die gute Verbindung mit den Partnern vor Ort bei, denn das funktioniert wirklich ausgezeichnet. Das ist eine grosse Stärke der PH Luzern, welche auch wir von der Bildungsverwaltung schätzen.


Governance-Dreieck

Governance-Dreieck Lehrerinnen und Lehrerbildung Im Zuge der EDK-Bilanztagung «Wirksame Lehrerinnen und Lehrerbildung – gute Schulpraxis, gute Steuerung» wurde unter Mitarbeit von Hans-Rudolf Schärer die Lehrerinnen- und Lehrerbildung (LLB) unter Governance-Gesichtspunkten als Gefüge von vier zentralen Akteursgruppen verstanden: die Institutionen der LLB eingebettet im Spannungsdreieck von Bildungspolitik, Bildungspraxis und Bildungswissenschaft. Das dabei entstandene Dreieck diente neben dem Leitbild der PH Luzern als Ausgangspunkt für das Gespräch mit den verschiedenen Vertretern des Berufsfeldes.


Personen

Alex Messerli ist seit dem 1. August 2018 Präsident des Luzerner Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (LLV). Er schloss die Primarlehrerausbildung 2011 und den DAS Schulleiter/-in 2018 an der Pädagogischen Hochschule Luzern ab. Aktuell unterrichtet er in der Stadt Luzern. 

Charles Vincent ist Leiter der Dienststelle Volkschulbildung (DVS) des Kantons Luzern. Er ist ausgebildeter Sekundarlehrer und hat in Erziehungswissenschaft und Psychologie promoviert. Er ist seit gut dreissig Jahren in verschiedenen leitenden Funktionen in der Bildungsverwaltung tätig.

Bettina Wagner ist seit dem Schuljahr 2017/18 Schulleiterin im Schulhaus Fluhmühle in der Stadt Luzern. Sie ist ausgebildete Heilpädagogin und war unter anderem für die Integrative Sonderschulung in Mariazell tätig. Sie schloss den MAS Schulmanagement an der PH Luzern ab und leitete ab 2014 respektive 2015 die Primarschulen von Gunzwil und Neudorf. Bettina Wagner ist im Vorstand des Schulleiterinnen- und Schulleiterverband der Volksschulen des Kantons Luzern (VSL LU).


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